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Die "Kratermusik" der Ausnahmeband Messer

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Postpunk.

Poptexte, das zeigt eine kürzlich veröffentlichte Studie britischer Wissenschaftler, werden immer knapper und simpler. Auf deutsch: Immer mehr dreht man sich um Befindlichkeitssuche im Hier und Jetzt. Beschreibt banale Momente, in denen ein ins Selbst gekrochenes Ich immer Wind im Haar, Sand in der Unterhose und Schimmel im WG-Kühlschrank vorfindet.

Man darf also froh sein, dass es Messer gibt - eine Band, die dem poetisch unterforderten Sprachbildersinn auch auf dem neuen, mittlerweile fünften Album "Kratermusik" wieder anständig die Synapsen föhnt. Was natürlich erst einmal an Sänger Hendrik Otremba liegt und seiner gänsehäutigen Scheuerpulverstimme, mit der er in Stücken wie "Kerzenrauchers letzte Nacht", "Schweinelobby" oder "Im falschen Traum" ein wildes Panoptikum zwischen surrealen Verzerrungen und kaltem Erkenntnisschweiß aufreißt, ohne dass je so ganz klar ist, was nun was ist.

Das erinnert zwischen teils leicht bedrohlich schrägen Messer-Indie-Sounds mitunter an die großartige Sprachbaukunst eines Blixa Bargeld - doch bei Otremba, der mittlerweile die drei Romane "Über uns der Schaum" (2017), "Kachelbads Erbe" (2019) und "Benito" (2022) sowie den Gedichtband "Wüstungen, Nebel" (2023) veröffentlicht hat, hat das Hirnlego mehr Drive und macht damit mehr Spaß. Floskelfrei ist es sowieso - und wo man sich bei anderen Popkünstlern über eine originelle Line zum Weiterzitieren freut, bekommt man bei Messer gleich das ganze Album.

"Mein Schreiben ist in den letzten Jahren über ein paar Schlenker wohl ein literarischeres Schreiben geworden", sagt Otremba: "Ich hab da einen Prozess durchgemacht, der das Finden von Bildern für mich verändert hat. Dazu gab es aber keinen Plan. Wir als Band haben einfach zugelassen, dass in den Texten Rätsel und Klarheit nebeneinader stehen können. So denke ich auch. Und so lebe ich: Manche Dinge, die mir wichtig sind, habe ich sehr genau verstanden, andere sind für mich ganz unverständlich. Niemand muss hier also irgendetwas dechiffrieren - es geht viel mehr darum, die Texte selbst zu betreten."

"Es gibt ja keine Lösung", ergänzt Schlagzeuger Philipp Wulf: "Die Lyrik ist als Teil der Musik nur Teil einer subjektiven Reise. Der Hörer soll selbst produktiv werden, den Text im Kopf weiterschreiben. Gerade an den Stellen, wo er kompliziert erscheint. Diese Einladung ist bei Messer immer dabei!"

In der Tat wirkt "Kratermusik" mit seinen packend teilabstrakten, oft irritierend freien Bildern vor allem deswegen etwas intellektuell verkopft, weil die übrige deutschsprachige Musik seit Jahren immer schlichter wird und nur das vor der Nase einfach beschreibt: Es gilt dann schon als große Poesie, wenn ein Sänger auf Kalenderspruch-Basis leicht nachvollziehbare Gefühle illustriert. Oder, als Kontrapunkt, pseudomystisch schwadroniert. Dabei braucht es gar nicht viel, um Messer vor allem als sinnlich und energiegeladen zu erfahren - eigentlich muss man nur los- und sich einlassen.

Die "andere Band"

An der Stelle fallen dann auch die ersten Assoziationen auseinander, die man als ostdeutscher Hörer eventuell hat - anfangs hat "Kratermusik" nämlich auf seltsame Weise auch etwas vom Duktus der berühmten "anderen Bands" der Vorwendezeit wie etwa Sandow, die ja ebenfalls oft sehr farbig verrätselte Texte hatten. Allerdings eben, um ihre Systemkritik zu verschlüsseln.

Diesen verbissenen Kern gibt es bei Messer nicht - die Band verfügt über eine gewisse Leichtigkeit, die ihrer durchaus eruptiven Energie trotz aller schwarzen Kantigkeit einen positiven Drall gibt. Sie wirkt eher wie ein Beobachter am Kraterrand der Gesellschaft. "Da wurde einer Landschaft Gewalt angetan, und wir sehen mit einer gewissen Machtlosigkeit zu, was das mit ihr gemacht hat. Unsere Musik ist so gesehen der Sound nach dem Gewaltigen", sagt Otremba.

"Zulassen" ist dabei ein gutes Stichwort, denn Messer sind auf "Kratermusik" mehr denn je als einheitliche Band spürbar. Musik und Lyrik für die Platte sind zwar parallel entstanden, doch dann habe man, so der Sänger, "beides aufeinander zukriechen" lassen. Dabei klingen die Songs nach einer sorgfältig ausbalancierten Schräglage: Niemand jongliert aktuell so betörend schön mit Misstönen wie Messer, Gefälliges bekommt hier immer eine raue Kante, jedes Instrument im Rausch mal absichtsvoll daneben.

Jedem der Songs, die sich sehr frei zwischen harschem Alt-Indie, Postpunk und auch mal Ska bewegen, hört man das lustvoll-spielerische Ringen der Protagonisten an. "Das Kern-Songwriting ist im schnellen Einverständnis passiert", sagt Drummer Wulf: "Da sind wir mittlerweile sehr einig und klar im Umgang mit den Ideen. Das war eine sehr berauschende, euphorisierende Phase. Deswegen mussten wir da auch nichts künstlich anrauen - so, wie die Platte klingt, so sind wir eben, wir empfinden so. Wir wollen im Schrägen das Schöne zeigen!" Otremba: "Das hängt mit unserer Prägung zusammen. Die kommt von Musik, die das Einladende, Schöne in sich trägt, aber nicht um jeden Preis. Ich finde Musik am schönsten, die mich fordert, die Abgründe hat und die komplex und dicht ist. Das sind die intensiven Momente, nach denen ich suche!"

Diese Platte bleibt bei uns!

So erwischt man sich beim Hören der "Kratermusik" auch schnell dabei, dass gelegentliches Schwertun vor allem in der eigenen Erwartungshaltung gründet. Wollte man nicht doch noch mal so eine Art "Neonlicht" hören oder "Angeschossen"? "Hölle" oder "Augen in der Dunkelheit" oder "Detektive"? All diese bitterschönen Momente, für die man diese brodelnd kühle Band so liebt? Doch Messer treibt den Fan aus der Komfortzone. Wulf: "Wir gehen unsere Stücke nicht an mit dem Gedanken: ,Wie können wir die Leute erst einmal verschrecken?‘ Es soll schon schön sein! Meine Erfahrung ist aber auch: Wenn man sich in eine Platte erst einmal einhören muss, dann bleibt sie länger bei einem. Und wir wollen Musik machen, die bei einem bleibt! Lieblingsplatten sind für mich solche, die einerseits diese beseelten Momente haben, bei denen man aber gleichzeitig auch das Gefühl hat: Ich werde mit der nicht ganz fertig, wir sind noch nicht durch!"

Deswegen sind Messer auch schwer irgendwo zu verorten, obwohl es zahllose Andockpunkte gibt: Man hat die Band bereits der Indie-Szene zugerechnet oder auch der Hamburger Schule. Aktuell würde sie gut in die Neue Neue Deutsche Welle passen, die Gene sind zumindest ähnlich. Doch am Ende ist vor allem der deutschsprachige Gesang das wesentliche Bindeglied. "Wir haben den Begriff Postpunk immer gern benutzt", sagt Wulf, "weil gar nicht klar ist, was er bedeutet. Irgendwas nach Punk. Dabei gab es Anfang der 80er ja es erst einmal eine Offenheit, hin zu Reggae, hin zu Elektronik, hin zu Funk. Das ist dann wirklich unser Einfluss." "Das kommt alles von grundverschiedenen Bands", so Otremba, "die nur die Energie mitgenommen haben und die Freiheit, sich ästhetisch auszuformen, ohne dabei kommerziell motiviert zu sein."

Diese Freiheit spürt man auf "Kratermusik" unter anderem daran, wie geschickt die Band scheinbar widersprüchliche Zutaten in ihren Sound zu integrieren versteht. Zum Beispiel den Gesang von Kreator-Kopf Mille Petrozza im Stück "Grabeland" - der völlig überraschend und wider Erwarten enorm gut funktioniert als eine Art Geisterstimme. ",Grabeland‘ war der Arbeitstitel eines Ruhrpott-Romans, an dem ich mit Mille seit einiger Zeit arbeite", sagt Otremba: "Mehr kann ich dazu noch nicht sagen. Aber die gemeinsame Arbeit hat mich zu dem Text inspiriert. Da dachten wir, dann kann Mille das ja auch gleich singen!"

Im Konzert Messer spielt unter anderem am 21. Mai im Ostpol Dresden und am 23. Mai im Conne Island Leipzig.

 

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